Vorsicht vor Chiropraktik!


Die Chiropraktik (auch Chirotherapie, manuelle Medizin) ist eine pseudomedizinische Methode, bei der Probleme des Bewegungsapparates mit Impulsen auf Gelenke, vor allem auf die Wirbelsäule behandelt werden sollen. Sie wird vor allem zur Behandlung von funktionellen Rückenschmerzen angewendet. Einige Chiropraktiker meinen zudem, mit dieser Methode auch Asthma, ADHS, Migräne und andere, nicht mit dem Bewegungsapparat assoziierte Krankheiten heilen zu können. Die Ausbildung zum Chiropraktiker ist in Deutschland nicht geregelt. Chiropraktik wird oft von Heilpraktikern angewendet, bei Tieren kann dies jeder sich dazu berufen fühlende Laie tun, wie z. B. Tamme Hanken, der damit Pferde und Hunde behandelt.

Es gibt keine wissenschaftlich fundierten Nachweise, dass durch Chiropraktik Störungen des Bewegungsapparates und andere Krankheiten geheilt werden können ...WEITER

Zudem sind die Gefahren der Chiropraktik nicht zu unterschätzen!

Der folgende Beitrag der GWUP ist die überarbeitete und übersetzte Fassung eines in The Guardian erschienen Artikels von Simon Singh, einem Wissenschaftsautor aus London, der zusammen mit Edzard Ernst das Buch „Gesund ohne Pillen – was kann die Alternativmedizin?“ (engl. Originaltitel: Trick or Treatment? Alternative Medicine on Trial) verfasst hat und der aufgrund dieses Artikels persönlich von der British Chiropractic Association 2008 wegen Verleumdung verklagt wurde. Erst im Berufungsverfahren 2010 wurde zu Gunsten von Singh entschieden und daraufhin zog die Association ihre Klage zurück:

Vorsicht vor der chiropraktischen Falle

Einige Anwender erheben die Chiropraktik zum Universalheilmittel, aber nach dem heutigen Stand der Forschung scheint sie bestenfalls bescheidene Erfolge zu feiern – und ihre Nebenwirkungen können laut Simon Singh sogar tödlich sein
.
Es überrascht Sie vielleicht zu erfahren, dass der Gründer der Chiropraktik, Daniel David Palmer, geschrieben hat, „dass 99% aller Krankheiten durch verschobene Wirbel verursacht werden“. In den 60er Jahren des XIX. Jahrhunderts begann Palmer damit, seine Theorie zu entwickeln, derzufolge die Wirbelsäule bei annähernd jeder Erkrankung eine wichtige Rolle spielt, da das Rückenmark das Hirn mit dem Rest des Körpers verbindet. Dementsprechend können Fehlstellungen der Wirbelsäule in anderen, nicht benachbarten Teilen des Körpers Probleme verursachen.

Tatsächlich soll Palmers allererstes chiropraktisches Manöver einen Mann geheilt haben, der seit 17 Jahren stocktaub war. Seine zweite chiropraktische Behandlung war ebenso bizarr, denn er behauptete, die Herzprobleme eines Patienten durch Korrektur der Fehlstellung eines Wirbels zu beheben.

Sie glauben vielleicht, dass moderne Chiropraktiker sich auf Rückenprobleme beschränken. Tatsächlich sind aber unter ihnen einige verrückte Ideen noch weit verbreitet. Die Fundamentalisten behaupten, jede Krankheit heilen zu können. Sie wollen u.a. Kindern mit Koliken, Schlaf- oder Essstörungen oder häufigen Entzündungen der Ohren helfen, gegen Asthma oder anhaltendes Schreien ankämpfen – obwohl es bei diesen Indikationen keinerlei Belege für die Wirksamkeit ihrer Methode gibt.

Ich kann solche Behauptungen selbstbewusst als vollkommenen Unsinn bezeichnen, weil ich zusammen mit Edzard Ernst, dem weltweit ersten Lehrstuhlinhaber für komplementäre Medizin, ein Buch über alternative Medizin geschrieben habe. Als Arzt hat er chiropraktische Techniken studiert und angewendet, dabei aber auch erkannt, dass eine kritische Evaluierung nötig war. Für eines seiner Projekte hat er 70 Studien überprüft, in denen abseits klassischer Rückenprobleme chiropraktische Therapien untersucht wurden. Er konnte keinerlei Belege dafür finden, dass Chiropraktiker solche Beschwerden lindern können.

Aber was ist von chiropraktischen Methoden zur Behandlung von Rückenproblemen zu halten? Manipulationen der Wirbelsäule können bei einigen Indikationen helfen, aber insgesamt sind die Ergebnisse nicht eindeutig. Zugegeben, auch konventionelle Strategien wie Physiotherapie sind bei Rückenproblemen nicht immer erfolgreich. Dennoch sind sie gegenüber der Chiropraktik zu bevorzugen, da diese Art von Therapie mit ernsthaften Gefahren einhergeht.

Im Jahr 2001 hat ein systematisches Review von fünf Studien gezeigt, dass etwa die Hälfte aller chiropraktisch behandelten Patienten über kurzfristige Nebenwirkungen berichten, u.a. Schmerzen, Benommenheit, Steifheit und Schwindelgefühle. Das sind natürlich eher unbedeutende Effekte, aber sie kommen sehr häufig vor und müssen gegen die sehr begrenzten Vorteile chiropraktischer Eingriffe aufgewogen werden.

Besorgnis erregender ist, dass das Markenzeichen der Chiropraktiker, nämlich der so genannte Manipulationsstoß, noch wesentlich schwerwiegendere Risiken mit sich bringt. Dabei werden Gelenke über ihren normalen Bewegungsspielraum hinaus durch Anwendung kurzer, schneller Kraftstöße ausgelenkt. Obwohl diese Prozedur für die meisten Patienten risikolos ist, können in Einzelfällen Gelenke ausgekugelt oder Knochen gebrochen werden.

Schlimmer noch: Bei Manipulationen der Halswirbelsäule kann die Wirbelarterie, die das Gehirn mit Blut versorgt, beschädigt werden. Die sogenannte Dissektion dieser Arterie kann im Endeffekt zur Unterbrechung der Blutversorgung des Gehirns und dadurch zu einem Schlaganfall oder sogar zum Tod des Patienten führen. Da es zwischen der Dissektion der Wirbelarterie und der Blockade der Blutversorgung des Gehirns normalerweise eine zeitliche Verzögerung gibt, wurde der Zusammenhang zwischen chiropraktischen Maßnahmen und Schlaganfällen lange Jahre nicht erkannt. Vor kurzem konnten jedoch einige Fälle dokumentiert werden, in denen die Dissektion der Wirbelarterie mit Sicherheit durch Manipulationen der Wirbelsäule verursacht wurde.

Laurie Mathiason war eine 20jährige kanadische Kellnerin, die zwischen 1997 und 1998 aufgrund von Kreuzschmerzen 21-mal ihren Chiropraktiker aufsuchte. Bei ihrem vorletzten Besuch klagte sie über Steifheit im Genick. Noch am selben Abend ging sie erneut zu ihrem Chiropraktiker, da sich ihr Zustand verschlechterte und sie im Restaurant kaum noch arbeiten konnte. Als er ihre Halswirbel manipulierte, begann sie zu weinen, die Augen zu verdrehen, bekam Krämpfe und hatte Schaum vor dem Mund. Sie wurde in die Notaufnahme eines Krankenhauses gebracht, fiel dort ins Koma und starb drei Tage später. Bei der Obduktion erklärte der Pathologe: „Laurie starb an einer Ruptur der Wirbelarterie, die während chiropraktischer Manipulationen an ihrer Halswirbelsäule zustande kam.“

Es handelt sich nicht um einen Einzelfall. Alleine in Kanada starben mehrere andere Frauen nach chiropraktischen Eingriffen, und Edzard Ernst hat in der medizinischen Fachliteratur annähernd 700 Fälle von schwerwiegenden Komplikationen identifiziert. Die Gesundheitsbehörden sollten diese Gefahren sehr ernst nehmen, vor allem, weil nicht jeder Fall erkannt wird und die Dunkelziffer daher wesentlich höher ist.

Wäre die Manipulation der Wirbelsäule ein Medikament, würde es bei so geringem nachgewiesenen Nutzen und solch schwerwiegenden Nebenwirkungen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vom Markt genommen.

Quacksalberei stellt aber sowieso in Deutschland keine „Gefahr für die Volksgesundheit“ dar, das wissen wir ja, denn wovon sonst sollten Heilpraktiker leben?! Somit ist das folgende Gerichtsurteil völlig nachvollziehbar:

Das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main hat die Stadt Frankfurt am Main verpflichtet, einem in Großbritannien ausgebildeten Chiropraktiker die Erlaubnis zur Ausübung seiner Tätigkeit als Heilpraktiker zu erteilen, ohne zuvor eine erneute Kenntnisprüfung nach dem Heilpraktikergesetz ablegen zu müssen … zum ARTIKEL

9 Gedanken zu “Vorsicht vor Chiropraktik!

  1. Wie kann man erreichen, dass man den Heilpraktikern das Wort „heilen“ entzieht? Mögen sie Wellnesspraktiker, Wohlstandsproblemchenwegzauberer, bezahlter Zuhörer, Gesundenbehandler oder gesetzl. gepr. Schamane heissen. Aber nix mit dem heiligen Wort „Heilen“. Wer heilen will, muss das nachweisen können. So schauts aus.

    Ramen, aber solang die althergebrachten Weltuntergangsreligionen auch Heil bringen resp. verkaufen dürfen, darf es auch jeder Hauptschulabgänger mit HPAusbildung.

    Ramen & Sonneborn for KanzlerIn

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  2. Zu diesem Tamme Hanken wäre noch zu sagen, dass er mit seiner „angeborenen“ Fähigkeit auch Menschen behandelt hatte. Das steht so bei Psiram: Presseberichten zufolge behandelt Hanken auch Menschen mittels Chiropraktik, wie er selbst auf seiner Homepage zugibt. Wegen zu großen Andrangs habe er dies aber im Dezember 2010 eingestellt. Allerdings dürfte seine Entsagung, zukünftig an Menschen herum zu pfuschen, andere Gründe haben, denn er wurde meines Wissens mehrfach wegen Verstoßes gegen das Heilpraktikergesetz angezeigt. Seine rechtswidrigen Tathandlungen konnte man ja sogar im TV sehen. Es wurde aber nicht bekannt, ob es ein Ermittlungs- und Strafverfahren gegen ihn gab. Möglicherweise hatte ihn seine überaus große und völlig zu Unrecht bestehende Popularität davor bewahren können. Seine Methoden dürfen nach wie vor bei wirklichen Experten auf Entsetzen stoßen. Vielleicht kann sich mal jemand dazu durchringen, ihn wegen Tierquälerei zu belangen.

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  3. Aus meinem Freundschaftkreis:
    Es wurde einem Mann von einem Orthopäden der „Hals eingerenkt“, weil irgendwelche kleinen Beschwerden vorlagen. Folge: Riss einer Ader, Schlaganfall, halbseitige Lähmung…

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  4. Na ja, Chiropraktiker wird man unter akademischen Orthopäden eher nicht finden. Ich denke aber, dass der eine oder andere Orthopäde unter dem Label der Chirotherapie durchaus auch chiropraktischen Unfug treibt. Vermutlich ist Ich’s Bekannter so einem Exemplar in die Hände gelaufen. So verstehe ich jedenfalls die Mitteilung von Ich.

    Chiropraktiker sind unter den Alternativos eben die Leute fürs Grobe. Was dem Homöopathen die Feinstofflichkeit, ist dem Chiropraktiker die Brechstange. Antipoden eigentlich: der eine arbeitet unterhalb der Wirksamkeit, der andere darüber; vereint sind sie so betrachtet nur in ihrer Maßlosigkeit. Und in der Unkenntnis, was sie da überhaupt tun.

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  5. Ich persönlich habe sehr gute Erfahrungen mit Chiropraktikern und Medizinischen Massagen gemacht. Ich wurde über mehrere Jahre von dauerhaften Rückenschmerzen gequält und nachdem Therapien unterschiedlicher Ärzte keinen Erfolg hatten, habe ich mich auf anraten eines Bekannten zu einem Chiropraktiker begeben. In einem aufklärendem Gespräch wurden mir die unterschiedlichen Behandlungsmethoden erläutert. Danach hatte ich regelmässig Behandlungen und nach einer gewissen Zeit sind die Beschwerden zurückgegangen, bis sie schliesslich nur noch sehr selten aufgetreten sind. Eventuell hatte ich mit dieser Behandlung Glück, aber generell zu sagen, dass Chiropraktiker ein Risiko finde ich übertrieben. Lg H

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