Die doppelte Echokammer – oder warum auch unsere Sicht auf die Welt nicht immer die richtige ist


Gastbeitrag von Dr. Susanne Kretschmann

Wir alle umgeben uns mit Freunden, die im wesentlichen derselben Meinung sind wie wir, zumindest was die für uns wichtigen Überzeugungen betrifft. Trotzdem kann es geschehen, dass uns ein Freund mit einer Ansicht überrascht, die wir auf keinen Fall teilen oder mit einer Information, die für uns völlig neu ist und mit der wir uns auseinander setzen müssen.

Auch die klassischen Medien versorgen uns nicht nur mit Informationen, die unserer Einstellung entsprechen. Selbst wenn wir nur Medien konsumieren, die eher unsere politische oder weltanschauliche Tendenz haben, werden wir dort Meldungen und Kommentare finden, mit denen wir nicht übereinstimmen.

Im Internet und in sozialen Netzwerken wählen wir dagegen selbst aktiv aus, welche Informationen zu uns dringen. Ein Mausklick, und eine unerwünschte oder unliebsame Quelle lässt uns in Ruhe, ein weiterer, und ein „Freund“ ist aus der Liste entfernt und behelligt uns nicht mehr.

Unter Echokammer versteht man das Phänomen, dass die meisten Menschen im Internet nur solche Seiten besuchen, die die gleiche Meinung wie sie vertreten und in sozialen Netzwerken nur mit solchen Menschen interagieren, mit denen sie konform gehen. Mit diesem Verhalten erzeugt und verstärkt man bei sich selbst den Eindruck, zu einer Mehrheit zu gehören, selbst wenn nur ein winziger Teil der Bevölkerung die Meinung teilt. Diese Majority Illusion kann alle Lebensbereiche betreffen, wenn man keine anderen Informationsquellen nutzt, von den Ernährungsgewohnheiten über die Bevorzugung einer Automarke und die politische Einstellung bis hin zu völlig irrationalen Vorstellungen wie die Existenz einer heimlichen Machtelite, die große Teile der Menschheit auslöschen will.

Was geschieht nun, wenn man sich mit Gruppen beschäftigt, deren Ansichten den eigenen diametral entgegen gesetzt sind? In dieser Situation sind alle, die versuchen, irrationale Vorstellungen in sozialen Netzwerken zu bekämpfen – sei es bei Anhängern von Homöopathie und Alternativmedizin, Impfgegnern, Verschwörungsgläubigen oder Vertretern unhaltbarer politischer Positionen.
Einerseits sind wir – die skeptischen Aufklärer – uns unserer Meinung sicher, in der Regel können wir sie durch wissenschaftlich belegte und logische Argumente untermauern. Es ist für uns völlig unvorstellbar, die verqueren subjektiven Ansichten der Gegenseite zu übernehmen. Andererseits begegnen uns viele Andersdenkende, die anscheinend völlig resistent gegen Argumente sind und unerschütterlich ihrem Irrglauben anhängen. Wir befinden uns also in zwei sich widersprechenden Echokammern gleichzeitig.

Wir sind resistent gegen die Inhalte der Vorstellungen, aber unsere Ansichten über die Häufigkeit der Verbreitung werden beeinflusst. Neben der eigenen Erfahrung hat dies den einfachen statistischen Grund, dass diejenigen, die die irrationalen Meinungen nicht teilen, sich nicht und vor allem nicht in den von uns besuchten Zusammenhängen zu Wort melden.
Ein Beispiel: In vielen Gruppen, Foren etc., die sich mit Alternativmedizin oder mit Kritik am Gesundheitswesen beschäftigen, findet man den Vorwurf, dass Ärzte zu wenig Zeit für ihre Patienten hätten, dass sie keine vertrauensvolle empathische Kommunikation beherrschten und dass die medizinische Versorgung zu apparatefixiert sei. Nun melden sich in diesem Zusammenhang aber nahezu ausschließlich Personen zu Wort, die selbst oder durch Freunde und Angehörige solche Erfahrungen gemacht haben. Dadurch entsteht der Eindruck, dass solche Erlebnisse wesentlich häufiger sind, als empirisch etwa durch Umfragen bestätigt wird. Die Zufriedenen haben keinen Grund, sich zu beteiligen.

Ebenso ist es mit Leuten, die nicht an Chemtrails oder eine Flache Erde glauben, mit Leuten, die Impfen normal, aber nicht besonders erwähnenswert finden oder solchen, für die Homöopathie unwichtig ist – es äußern sich die mit den extremen Positionen, nicht die große Mehrheit .
Unsere Wahrnehmung darüber, wie häufig diese Ansichten in der Bevölkerung sind, wird dadurch natürlich beeinflusst, wenn wir keine empirisch abgesicherten Zahlen über deren wirkliche Verteilung haben.
Mit der Zeit wird unsere Einschätzung einer zunehmenden Irrationalität zur bestätigten Meinung, Menschen mit diesen Ansichten fallen uns immer mehr auf. Wo wir früher solche Leute als Spinner abgetan und schnell wieder vergessen haben, sind sie jetzt für uns der Beleg für unsere Erfahrungen: „Oh, noch einer! Sie werden wirklich immer mehr!“.

Dieser „confirmation bias“ (Bestätigungsfehler) wirkt bei allen Menschen, unabhängig von Bildung und Intelligenz. Wir nehmen grundsätzlich Informationen, die zu unserer Meinung passen, schneller wahr und erinnern sie besser als konträre Erfahrungen. Eine Metastudie der empirischen Arbeiten über den confirmation bias fand, dass bestätigende Informationen etwa doppelt so stark beachtet werden wie einstellungskonträre, und sie werden natürlich auch besser erinnert. Dieser Effekt wirkt um so stärker, je wichtiger uns ein Thema ist.

Was kann man tun, um dieser doppelten Echokammer zu entkommen?

Man sollte sich auch hier auf Empirie verlassen, wo es möglich ist. Ein Beispiel aus der Auseinandersetzung mit Impfgegnern sind die Umfragen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Sie zeigen, dass zwischen 2012 und 2016 die Zahl der Impfgegner abgenommen hat, entgegen dem Eindruck, den man in sozialen Netzwerken gewinnen muss.
Und man sollte natürlich so selbstkritisch sein, dass man die eigenen Eindrücke und subjektiven Einzelerfahrungen nicht für ein genaues Abbild der realen Welt hält, sondern sich der Verzerrung der eigenen Wahrnehmung bewusst sein.

 

 

 

 

 

 

 

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