Mit Impfgegnern kommunizieren – warum Werte wichtig sind


Gastbeitrag von Dr. Susanne Kretschmann

Impfungen sind eine der größten Erfolgsgeschichten der Medizin der letzten hundert Jahre, und doch gibt und gab es immer Stimmen, die sich mehr oder weniger vehement dagegen wenden. Nach repräsentativen Umfragen sind die militanten Impfgegner nicht so zahlreich, wie man von ihrer Lautstärke her vermuten könnte, sie machen keine fünf Prozent aus.

Problematisch sind sie allerdings, weil sie junge Eltern verunsichern und mit Falschaussagen in die Irre führen können, was dann zu verspäteten und unvollständigen Impfungen führt. Diese verunsicherte Gruppe ist wesentlich größer, sie beträgt bis zu 20 Prozent, und vor allem sie sollte die Zielgruppe der Kommunikation sein.

Welche Strategien sind erfolgversprechend, wenn man die skeptischen und ängstlichen Eltern erreichen will?

Eine wesentliche Rolle spielen die zentralen Werte, die für persönliche Entscheidungen bestimmend sind. Jeder versucht, seine Handlungen mit seinen moralischen Prinzipien in Einklang zu bringen, menschliches Verhalten beruht so gut wie nie ausschließlich auf rationalen, logischen Überlegungen. Aber jeder hat einen anderen Wertekanon. Welche grundlegenden Überzeugungen sind den Impfskeptikern wichtig, und könnte die Berücksichtigung dieser Werte in den Kampagnen höhere Erfolgsquoten bringen?

Impfkommunikation setzt meist auf Werte wie soziale Verantwortung (Stichwort Herdenimmunität) oder sie betont die statistischen Wahrscheinlichkeiten, sich an impfpräventablen Krankheiten anzustecken, deren Schäden und Langzeitfolgen im Vergleich zu Beeinträchtigungen durch die Impfung.. Aber sind das die Argumente, die Einstellungen und damit das Verhalten ändern?

Eine neuere Studie setzt solche moralischen Grundüberzeugungen in Zusammenhang mit der Haltung von Eltern zu Impfungen. Die Autoren fanden deutliche Unterschiede zwischen solchen, die Vorbehalte gegen Impfungen hatten und den Befürwortern.

Der größte Unterschied lag im Faktor „Natürlichkeit“ (Purity): Impfskeptische Eltern hatten mit doppelt so hoher Wahrscheinlichkeit hohe Werte in dieser Unterskala, d.h. sie legen großen Wert auf „Reinheit“, etwa bei der Ernährung oder bei der Ablehnung von als künstliche empfundenen Materialien.

Dies passt zu empirischen Ergebnissen, nach denen Impfgegner Bio-Lebensmittel bevorzugen.

Zu dem Konzept Purity gehört auch, „Verunreinigungen“ in jedem Lebensbereich zu vermeiden. Die vollkommen falsche Verwendung des Wortes „Chemie“ für verarbeitete Lebensmittel, für wirkliche oder vermutete Schadstoffe, vor allem aber für Medikamente ist das beste Beispiel für den Kern dieses Wertes.

Einen weiteren wichtigen Unterschied fanden die Autoren bei der Ablehnung von staatlichen oder gesellschaftlichen Vorgaben: Im Vergleich mit Befürwortern ist den Impfgegnern die individuelle Freiheit (Liberty) wesentlich wichtiger, sie lehnen jegliche „Bevormundung“ durch andere deutlich ab. Dies betrifft vor allem subjektiv negativ empfundene Eingriffe des Staates oder öffentlicher Stellen in die „freie Selbstbestimmung“, wenn etwa für den Besuch von Kitas Impfpässe vorgelegt werden müssen.

Diese Ergebnisse  passen zu den anekdotischen Beobachtungen bei Diskussionen mit Impfgegnern in Sozialen Medien. Sehr häufig findet man Argumente wie „Ich lasse doch kein Gift in mein Kind spritzen!“ (Motiv Natürlichkeit) und „Ich habe das Recht, über mein Kind zu entscheiden!“ (Motiv Freiheit). Auch die Ablehnung sozialer Verantwortung ist ein gängiges Motiv: „Warum sollte mein ungeimpftes Kind eine Gefahr für Geimpfte darstellen?“, wobei Säuglinge, die noch zu jung zum Impfen sind oder Personen, die aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden können oder immunsupprimiert sind, in der Argumentation nicht auftauchen. Der Faktor „Soziale Verantwortung“ oder „Fairness“ spielt für Impfgegner keine wesentliche Rolle.

Was heißt das nun für die Kommunikation? Die übliche Impfgegner-Propaganda benutzt genau diese Motive, Impfungen werden als unnatürlich und versetzt mit gefährlichen („chemischen“) Inhaltsstoffen dargestellt, die Empfehlungen etwa der Ständigen Impfkommission Stiko werden als Eingriff in die persönliche Freiheit erlebt und „individuelle Impfpläne“ propagiert. Eine Folgestudie, die die Ergebnisse der ersten bestätigte, fand, dass genau diese Aussagen unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt von Impfskeptikern mehr geglaubt werden als sachlich richtige Information. Der Appell an die moralischen Grundüberzeugungen ist damit erfolgreicher als die Vermittlung von wissenschaftlich gesicherten Informationen.

Die öffentliche Kommunikation zum Impfen legt meist größeren oder sogar ausschließlichen Wert darauf, auf die potentiellen Gefahren des Nichtimpfens hinzuweisen und/oder die soziale Verantwortung zu betonen, indem auf den notwendigen Herdenschutz verwiesen wird. Gerade diese Motive sind aber für Impfskeptiker nicht die zentralen in ihrer Entscheidungsfindung.

Wie könnte man die Werte „Natürlichkeit“ und „Freiheit“ in der Kommunikation betonen? Eine erste, sehr einfache Möglichkeit wäre, wieder von Schutzimpfungen zu sprechen, um eine positive Bedeutung zu erzeugen.

Eher kontraproduktiv ist die aktuelle Diskussion, zur Erhöhung der Impfquoten eine Impfpflicht für bestimmte Krankheiten einzuführen, zumindest unter dem Gesichtspunkt der „Freiheit“. Gerade bei impfskeptischen Eltern werden damit genau die Vorbehalte bestärkt, die sie vom Impfen abhalten. Aus diesem Grund sollte eine gesetzliche Pflicht erst dann zum Tragen kommen, wenn alle anderen Möglichkeiten erfolglos ausgeschöpft sind. Eine Impfpflicht würde den Widerstand nur noch verstärken, selbst bei Eltern, die „nur“ verunsichert, aber nicht vollständig ablehnend sind. Als Alternative bietet sich an, auf Länder zu verweisen, in denen der Zugang zu Impfungen nur unter großem Aufwand möglich ist und wo Menschen lange Wege in Kauf nehmen, um ihre Kinder impfen zu lassen.

Von Impfgegnern wird oft Panik gegen die Zusatzstoffe in Impfungen verbreitet. Hier bieten sich Vergleiche an, die den Faktor Natürlichkeit betonen, etwa: In einem Apfel ist mehr Formaldehyd vorhanden als in einer Impfdosis.

Das Bedürfnis nach „Reinheit“ kann auch mit dem Hinweis befriedigt werden, dass moderne Impfstoffe wesentlich weniger Antigene enthalten als noch vor wenigen Jahrzehnten. Auch der Vergleich zu der (wesentlich größeren) Zahl an Erregern. mit denen jedes Kind täglich von Geburt an in Berührung kommt, kann hilfreich sein.

Einer der Autoren zieht diesen Schluss:

You could increase the salience of disgust associated with certain diseases, and say vaccines fight those,” said the Emory study’s senior author, Dr. Saad Omer. “Or you could frame purity positively — saying vaccines are a very natural product, they work with a natural system. Messages that talk about liberty, that the freedom to choose for your child is being taken away if other others don’t vaccinate, might work.”

Avnika B.Amin et al.: Association of moral values with vaccine hesitancy.
Nature Human Behaviour (2017) Volume 1, pages873–880

Update:

Ebenfalls auf der Grundlage der Moral foundations theory, mit der sich Entscheidungen beschreiben lassen, die auf persönlichen Werten beruhen, führte eine Gruppe australischer Forscher eine ähnliche Studie durch. Sie identifizierten drei Gruppen: Impfgegner, die Impfungen grundsätzlich ablehnten, Impfskeptiker („fence-sitters“), die Vorbehalte haben, aber in der Regel doch impfen, wenn auch oft zu spät und unvollständig, und Impfbefürworter.

Sowohl die radikalen Gegner wie auch die Skeptiker zeigten eine signifikant höhere Bevorzugung von Freiheit als Wert („liberty“, Betonung der Rechte des Einzelnen). Gegner haben eine geringere Bereitschaft, sich einer Autorität zu unterwerfen, und legten wesentlich mehr Wert als die beiden anderen Gruppen auf Reinheit („Purity“).

Auch diese Autoren stellen fest, dass Impfkampagnen oft diese grundlegenden Werte nicht berücksichtigen. Es bestehe die Gefahr, dass Maßnahmen, die als Zwang empfunden werden wie eine Impfpflicht, der Ausschluss von Kinderbetreuung oder die Koppelung von Kindergeld an den Impfstatus („no jab, no pay“) kontraproduktiv wirkten, indem sie Zweifelnde und Verunsicherte zu Gegnern werden ließen. Impfkommunikation sollte immer die Autorität der Eltern betonen und eher die Freiheit betonen, den Kindern ein Leben ohne die impfpräventablen Krankheiten zu ermöglichen.

Isabel Reossen et al., Accepters, fence sitters, or rejecters: Moral profiles of vaccination attitudes
Social Science and Medicine,Volume 224, March 2019, Pages 23-27

 

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