Vorsicht Coaching – Psycho-Physiognomik und weiterer esoterischer Unsinn


Die Spielarten der Esoterik sind vielfältig, der alternative Gesundheitsbereich lebt längst davon und findet gesellschaftliche Anerkennung. Der esoterische Unterbau möchte natürlich von vielen Anbietern verschwiegen werden, um seriös und wissenschaftlich zu wirken und um sich von der Esoterik-Bekenner-Ecke abzugrenzen. Das funktioniert auch wunderbar, man denke nur an die Homöopathie, die in Arztpraxen und Universitäten Einzug erhalten hat und von den Massen fälschlicherweise als wissenschaftlich anerkannte Naturheil- oder Pflanzenkunde verkannt wird. Das Schindluder, das mit der Volksgesundheit getrieben wird, ist schon unerträglich, es gibt jedoch weitere Spielarten, die gefährliche Auswirkungen haben können und kaum kritische Betrachtung finden.

Dazu gehört der stetig wachsende Bereich des Unternehmens-Coachings, der seit langem esoterisch unterwandert wird sodass kein Laie mehr imstande ist, die Spreu vom Weizen zu trennen. Das sogenannte Mentaltraining, das im Prinzip nichts anderes beinhaltet als die Vermittlung von „Wünsch Dir was und das wird wahr“ oder „Du bist der Schöpfer Deiner Realität“ ist esoterisches Vollgeschwurbel und kann auch im Esoterik-Bestseller „The Secret“ nachgelesen werden. Trotzdem wurde es zum Prestigemerkmal angesehener Sportvereine sich einen entsprechenden Mentaltrainer zu halten. Der Sportbereich war eine Art Türöffner für pseudopsychologische Scharlataneriemethoden, um generell Anerkennung zu erhalten und als „seriös“ und wirksam zu gelten.

Große Unternehmen zeichnen sich heute dadurch aus, dass sie ihre Mitarbeiter für viel Geld coachen lassen, was zu mehr Motivation, Teamgeist, etc. und letztendlich zu mehr Erfolg für die Firma führen soll. Hier muss auch die Abartigkeit von sogenannten Systemaufstellungen erwähnt werden, die – ähnlich den Familienaufstellungen im privaten Bereich –  als sehr bedenklich bis höchst gefährlich gelten.

Coaching-Angebote gibt es jedoch nicht nur für Mitarbeiter  bzw. das gesamte Unternehmensteam, sondern auch speziell und gezielt für Unternehmer und Personalentscheider, die befähigt werden sollen die „richtigen“ Leute einzustellen. Dabei geht es jedoch nicht um eine fachliche Beurteilung von Bewerbungsunterlagen, sondern um obskure esoterische Überzeugungen auf der Basis „Innen wie Außen“, die davon ausgehen, dass es keinen Zufall gibt und dass sich das individuelle Naturell eines Menschen in allem Sichtbaren spiegelt bzw. darüber zu analysieren sei. Den Ansatz kennt man aus der Astrologie zur Genüge und auch die Graphologie, die Deutung der Handschrift in Bezug auf Persönlichkeitsmewrkmale, hat bereits seit der Renaissance ihre Anhänger. Zum Glück konnte deren Akzeptanz, die sie in der ersten Hälfte des 20. Jahrunderts in der klinischen Psychologie hatte, über Erkenntnisse der empirischen Wissenschaft wieder ausgemerzt werden. In der Esoterik gilt sie natürlich nach wie vor als sicheres Instrument der Diagnostik und Persönlichkeitsbeurteilung.

Ein weiteres Übel mit langer geschichtlicher Tradition und zum Teil verhehrenden Folgen stellen Analysen dar, die Anhand von körperlichen Äußerlichkeiten auf die Persönlichkeit schließen wollen. Im Namen von Phrenologie und Physiognomik lassen sich auch heute noch rassistische, sozial-darwinistische und diskriminierende Thesen basteln, die Unternehmern von Coaches unter dem Label „Menschenkenntnis“ verkauft werden.

Auch wenn Personalentscheider keinerlei Diskriminierungen im Sinne haben oder Vorurteile pflegen möchten, führen entsprechende „Pseudowahrheiten“ zu willkürlicher Selektion, die potentielle Bewerber völlig machtlos im Regen stehen lassen, guten Mitarbieitern den Job kosten können und letztendlich auch dem Firmenerfolg schaden können. Letzteres dürfte sowieso kaum bekannt werden, denn wer würde sich schon als Volltrottel outen wollen, der sich diesen Humbug, noch dazu für sehr viel Geld, hat aufschwatzen lassen.

Hauptaugenmerk gilt heute der Gesichtsanalyse und entsprechende Methoden werden unter „Psycho-Physiognomik“, „Gesichtsdiagnose“, „Gesichtsdeutung“, „Gesichtsanalyse“ und „Face Reading“ angeboten.

Beispiel:

Gesichter lügen nicht. Und sie verändern sich je nach Lebenssituationen. Jede Erhebung und Vertiefung unseres Körpers ist der Ausdruck innerer Prozesse. Davon ist Peter Breidenbach überzeugt, der das „face readen“, also das Lesen in fremden Gesichtern, zu einer seiner Stärken gemacht hat – der Oberfranke gilt heute als einer der führenden deutschen Gesichtsdeuter….
(Nordbayerischer Kurier – 02./03.12.2006)

Auch wenn derartige Überzeugungen keinen statischen Anspruch erheben und davon sprechen, dass sich Merkmale jederzeit verändern könnten, dürfte dies den Betroffenen zum Zeitpunkt der Analyse wenig helfen, wenn die Deutung nicht „positiv“ ausfällt. Ein Stigma bleibt nicht aus. Selbst ein vorgegebener Zeitrahmen und eine Anleitung zur Persönlichkeitsveränderung mit Erfolgsversprechen nach Umsetzung müsste ja einer äußerlichen Überprüfung stand halten können. Will heißen, wenn jemandem z. B. nach einer Bewerbung eine Frist gesetzt würde, in der er seine Persönlichkeit „verbessern“ könnte, um eingestellt zu werden, müsste sich damit auch seine Optik verändern und was wenn nicht???

Da fällt mir nur noch der Weg zum Schönheitschirurgen ein, der sich auf „Erfolgsmerkmale“ spezialisiert haben könnte und damit ein ganz neues „Schönheitsideal“ kreiert. 1984 lässt grüßen!

Da die Aussage „Gesichter lügen nicht“, so wie im Zitat gemeint, wissenschaftlich völlig unhaltbar ist und egal wie jemand analysiert oder welche Kriterien er dafür anlegt, nichts als reine Willkür bedeuten, kann ein Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz nur gegen derart erhobene Klassifizierungen sprechen. Auch Veränderungen, die es unwidersprochen durch Gewicht, Lebens-/Ernährungs-/Konsumstil, Krankheit/Gesundheit, Alter, Umweltbelastungen, etc. pp. gibt, sind ja primär nicht gemeint und haben in der Regel keinen sooo gravierenden Einfluss auf die Optik von Kopfform, Nase, Mund und Ohren. Eine ausgeprägte Kinnpartie , die auf was auch immer hinweisen soll, degeneriert nicht, wenn die zugeschriebene Eigenschaft verloren geht.

Von der „Krone der Menschenkenntnis“ kann man in Selbstdarstellungen von Gesichtsanalyse-Anbietern lesen. Wissenschaftlich anerkannt und auch noch hochethisch soll das Ganze sein. Man richtet sich neben Personalentscheidern auch zum Beispiel an Lehrer, Rechtsvertreter, Verkäufer und Partner suchende. Was bei den beiden erstgenannten dabei rauskommen kann, möchte ich mir gar nicht erst ausmalen. Der Lehrer, der sofort sieht, ob ein Schüler motiviert oder unbelehrbar sein wird und der Richter, der entweder ein Aggressions- oder Empathiepotential im Angeklagten ausmacht, ohne Hintergrundwissen und Anhörung.

Ein Auszug aus dem SPON-Artikel „Personalauswahl per Gesichtsanalyse: Verräterische Beule am Kopf“ (2.Teil) von 2006:

Während Heiden beim Coaching offen über seine psycho-physiognomischen Erkenntnisse spricht, setzt er diese bei Auswahlgesprächen oder Management-Audits verdeckt ein. So sehe er etwa am Aufbau des Hinterkopfs und Unterkiefers, ob jemand eher harmoniegetrieben sei. Die Willensstärke erkenne er an der Nase. „Deshalb entwickelt sich die Nase auch je nach Charakter unterschiedlich“, behauptet der Psycho-Physiognomiker. Allerdings müsse man immer mehrere Merkmale in Relation setzen. „Wir reden hier über die Ausprägungen von 270 Merkmalen“, erklärt der promovierte Luft- und Raumfahrtingenieur. Im Gespräch stelle er dann anhand seiner Erkenntnisse gezielte Fragen. So erinnere er sich an eine Projektleiterin, die richtig hart auftrat, aber psycho-physiognomisch ein „Mega-Sensibelchen“ war …

Auch Christoph Aldering, Mitglied der Geschäftsleitung und Partner Kienbaum Management Consultants GmbH, ist erstaunt über die „laienhafte Psychologie“. Das erinnere ihn doch an dunkle Zeiten in unserer Geschichte. Thomas Randhofer hält die Schneemann-Methode für „Taschenspielertricks“, bei denen sich die Analysierten – ähnlich wie beim Horoskop – in eher allgemein gehaltenen Aussagen wiederfinden. Ethisch sei die Methode nicht vertretbar. „Da reden wir über lebenslanges Lernen, und dann wird jemand eingestellt, weil die Kopfform stimmt“, kritisiert der Leiter Personalentwicklung bei den Mannstaedt-Werken GmbH & Co. KG in Troisdorf.

Kein gutes Haar lässt auch Fritz Ostendorf an der Psycho-Physiognomie. „Den Charakter auf der Grundlage der Schädelform, der Art der Nase oder Stirn erschließen zu wollen, ist schlichtweg Humbug“, sagt der Psychologiedozent an der Universität Bielefeld. So hätten sich für die Annahmen der Phrenologie keinerlei Bestätigungen finden lassen. Zwar ließen sich momentane Gefühle durchaus aus der Mimik erschließen, aber allein auf dieser Basis auf stabile Persönlichkeitsmerkmale oder gar auf künftigen Berufserfolg zu schließen, sei äußerst problematisch.

Hier liegt offenbar das große Missverständnis, das Physiognomiker geschickt für sich nutzen. Denn über das Erkennen emotionaler Befindlichkeiten anhand der Körpersprache und Mimik gibt es in der Tat zahlreiche wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse. Wir können in Sekundenbruchteilen erkennen, ob uns jemand freundlich oder feindlich gesinnt ist – schließlich war das in der Evolution entscheidend fürs Überleben. Doch die Erkenntnisse beziehen sich stets auf die Beobachtung des Verhaltens und nicht auf die starre Vermessung des Gesichts.

So konnte Peter Borkenau, heute Professor für Psychologische Diagnostik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, in Versuchen belegen, dass man auch fremde Personen besser als erwartet einschätzen kann. Das galt vor allem für die Eigenschaften „Gewissenhaftigkeit“, „Extraversion“ und „Verbale Intelligenz“. Allerdings basierte die Einschätzung nicht allein auf dem optischen Eindruck. Als besonders wichtig für die Treffsicherheit erwies sich die Sprache. Schlussfolgerungen auf überdauernde Persönlichkeitsmerkmale anhand des Gesichts seien empirisch nicht haltbar.

„Ich hätte nicht gedacht, dass sich heute noch jemand mit solchen abstrusen Konzepten befasst.“
(Madeleine Leitner, Vorsitzende Sektion Wirtschaftspsychologie, BDP)

Auch Schneemanns Fähigkeiten hielten bisher keiner empirischen Überprüfung stand. So testete Jürgen Deller, Professor für Wirtschaftspsychologie an der Universität Lüneburg, gemeinsam mit seinem Doktorvater Werner Sarges die diagnostische Kompetenz des gelernten Fahrzeuglackierers. Dazu legten sie ihm rund 60 Fotos von Personen vor. Gleichzeitig machten diese Personen den wissenschaftlich fundierten Persönlichkeitstest NEO-FFI, der die so genannten Big Five – also die fünf wesentlichen Persönlichkeitsmerkmale wie Extraversion und Gewissenhaftigkeit – misst.

Schneemann bekam eine Beschreibung der Big Five und interpretierte die Gesichter dann anhand seines Systems. Dellers Fazit: „Die wissenschaftliche Analyse konnte nicht belegen, dass das System etwas erfasst, was wir unter Persönlichkeitsmerkmal verstehen.“ Werner Sarges wird noch deutlicher: „Schneemanns Behauptungen sind nicht haltbar. Das ist kompletter Unsinn.“

Aus der Traum? Lässt sich Menschenkenntnis also nicht schulen? Nein, sagt Psychologe Ostendorf: „Es ist seit Langem bekannt, dass sich die Fähigkeit, psychische Merkmale anderer akkurat zu beurteilen, kaum trainieren lässt.“ So seien Laien etwa bei der Interpretation von Gesichtsausdrücken durchschnittlich nicht schlechter als Psychologen. Auch sei es nicht gelungen, „Menschenkenntnis“ als stabiles Persönlichkeitsmerkmal dingfest zu machen. Natürlich könne man trainieren, besser auf Körpersprache und Verhalten zu achten oder bessere Interviews zu führen, ergänzt Diagnostikexperte Sarges. Aber das dauere alles länger als die Schnellbleiche im Gesichterlesen.

Der Psychologe hat resigniert: „Etliche Personaler sind einfach so unsicher, dass sie nach jedem Strohhalm greifen.“

Eine Chance gegen derartige Diskriminierungen, Stigmatisierungen und Entscheidungsfindungen aufgrund von esoterischen und pseudowissenschaftlichen Ideologien kann und wird man jedoch nicht zur Anklage bringen können, solange ihr Heranziehen dem betreffenden Umfeld und dem betroffenen Gegenüber verschwiegen wird. Was sich hier alles im Geheimen abspielt und wie verbreitet diese Denke ist, lässt sich kaum erahnen und deswegen muss man die Öffentlichkeit informieren, dafür sensibilisieren, konkrete oder bekannt gewordene Fälle immer wieder thematisieren und generell davor warnen.

Coaches und Anbieter gibt es jedenfalls mehr als genug!

Mehr zum Thema:

Personalauswahl per Gesichtsanalyse: Verräterische Beule am Kopf (1.Teil)

Obskure Personalauswahl: Gescheitert am Schädeldeuter

3 Gedanken zu “Vorsicht Coaching – Psycho-Physiognomik und weiterer esoterischer Unsinn

  1. Wie moralisch kann ein sogenanntes alternatives/ ergänzendes Angebot sein, dessen Backround lediglich als schmalspurige „Einkommenspsychologie“ (oder/ bzw. …..-spiritualität) zu bezeichnen ist. Es geht lediglich darum, immer hippere Strategien/ Methoden auf dem Markt anzubieten, somit den Menschen/ Klienten/ Patienten als Ressource auszubeuten. Sichtbar wird dieses ganz deutlich, wenn von einer Person verschiedene PSEUDOtherapien/ – methoden angeboten werden, wobei jede einzelne ein Superlativ, das Nonplusultra, darstellt. Der Anbieter wird seinem Gegenüber NICHT ethisch-moralisch auftreten, geht es ihm doch allein um die Maximierung seines eigenen Profits.
    Hat ein derartiger Coach erstmal einen Fuss in der Tür des Unternehmens, so wird er unweigerlich nach dessen Belegschaft greifen wollen. Nicht umsonst wird in der Branche auf „Referenzen“ verwiesen, dabei gerne oberflächlich auf Konzerne, deren Struktur auf den ersten Blick kaum durchsichtig ist. „Als Referenz verweise ich auf XYZ, ….“ Dabei wird natürlich verschwiegen, ob am Standort A, B oder C. Potentielle Neukunden lassen sich an dieser Stelle allzuoft durch „XYZ“ blenden, hinterfragen ab diesen Zeitpunkt kaum nach einem wissenschaftlichen Fundament. Ist besagter Coach noch in den Medien aktiv hat er quasi den Olymp erklommen und richtet danach seine Angebotspreise aus, je teurer etwas ist, desto effektiver wird es dann ja wohl sein.
    Manipulative Techniken bilden die größte Gefahr. In der Regel zahlt der Chef die Zeche, ergo wird sich ein Coach bereits im Vorfeld an dessen Erwartungen orientieren (Wessen Brot ich ess, dessen Lied ich sing). Ein langjähriger zuverlässiger Mitarbeiter, meinetwegen in der mittleren Unternehmensebene, kann manipulativ beeinflusst werden – bis dahin, dass er für eine neue Tätigkeit nicht geeignet scheint und hiermit seine Karriere behindert wird. Gelangt der Coach erstmal über eine „Führungspfeife“ ins Unternehmen ist langfristiger Ärger vorprogrammiert, so einige Beispiele der Vergangenheit. In der Regel landen diese beim Arbeitsgericht.
    Betriebsräte sollten nach meiner Meinung vereinbaren, das Coaches als solches NICHTS im Unternehmen zu suchen haben. Qualitätsstandarts existieren eh kaum bzw. werden hier selbst generiert.

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