Religionsersatz Orthorexie – Krankhaft gesund!


Das Thema Übergewicht und Schlankheitswahn ist in unseren modernen Industriegesellschaften ungebrochen aktuell. Wer möchte nicht dem von den Medien propagierten schlanken Schönheitsideal entsprechen?

Nahezu jeder kennt das Problem der überflüssigen und unschönen Pfunde, die es wieder abzubauen gilt und desweiteren eine Flut an Diätanordnungen, die zwar viel versprechen, in der Regel jedoch dazu führen, dass man nach Beendigung der Diät mehr zunimmt, als man damit abgenommen hat. Der sogenannte Jojo-Effekt lässt grüßen.

Dass es hier einem anderen Lösungsansatz bedarf liegt auf der Hand und die Tatsache, dass die Nachfrage nach einem Konzept, das wirklich hilft, nicht größer sein könnte, lässt verstehen, dass sich findige Geschäftsleute auf diesem Gebiet besonders engagieren. Diät war gestern,  heute geht es um Ernährungskonzepte, die so unterschiedlich sie auch sein können, alle eine Heilslehre bieten. Wer ein entsprechendes Konzept praktiziert, viel mehr – zu seinem Lebensmittelpunkt macht – der soll nicht nur mit einer Traumfigur, sondern mit „unendlicher“ Gesundheit, Glück, Wohlbefinden und auch Genesung aller erdenklicher Krankheiten rechnen können. Nach dem generellem Bio-Wahn als Art „door-opener“, kann man immer mehr Menschen für MakrobiotikBruker-Kost (Milchlüge), Rohkost, UrkostVeganismus, Low-Carb (Ketogene Ernährung), Metabolic Typing, Metabolic Balance, Steinzeitdiät, etc. begeistern.

Und weil es dabei wirklich um einen Religionsersatz geht, wurde bereits Ende der 90er Jahre von einer pathologischen Essstörung gesprochen, die die Extremform darstellt. Der Fundi-Ernährungsjunkie mit seinem Gesundheitswahn, genannt Orthorexie, unterliegt einem Kontrollzwang, der in die gesellschaftliche Isolation führen kann. Sozialkontakte und Restaurantbesuche sind nicht mehr möglich, falls oder weil die Gefahr „unreinen“ Essens droht.

TV-Beitrag: „Orthorexie: Krankhaft gesund“ (Video und Text):

“ … Problematisch wird es, wenn der Wunsch nach Kontrolle umschlägt in einen Zwang zur Kontrolle: Essen in Restaurants etwa wird für die Betroffenen unmöglich, weil sie dort nicht ausreichend Einfluss auf Art, Herkunft und Zubereitung der Zutaten haben. Auch Feiern oder Treffen im Freundeskreis, bei denen vielleicht von anderen zubereitete Speisen serviert würden, werden um jeden Preis gemieden. Die Planung und Organisation der eigenen Mahlzeiten nimmt immer mehr Zeit und Raum in den Gedanken der Orthorektiker ein.

Osen vergleicht ihr Verhalten mit dem extrem religiöser Menschen: „Orthorektiker haben strenge Regeln, nach denen sie essen müssen, und sie sind überzeugt davon, dass das, was sie tun, das einzig Richtige ist. Das führt dann auch dazu, dass sie andere Menschen in ihrem Sinne überzeugen wollen. Sie entwickeln quasi einen missionarischen Eifer und möchten andere dazu bringen, dass sie sich den gleichen strengen Essensregeln unterwerfen.“ Die Kontakte zu Nicht-Gesund-Essern werden weniger und weniger, der Orthorektiker isoliert sich gesellschaftlich.

Obwohl das Verhalten von Orthorektikern durchaus Parallelen zu Zwangsstörungen zeigt – insbesondere, was die Rigorosität der Verhaltensmuster angeht – gibt es einen entscheidenden Unterschied: Patienten, die an einer Zwangsstörung leiden, empfinden ihren Zwang als fremdartig. Sie wissen, dass ihr Verhalten unsinnig ist, sie können aber nicht anders. Orthorektiker hingegen sind überzeugt, ihr Verhalten sei richtig und ohne Alternative …“

7 Gedanken zu “Religionsersatz Orthorexie – Krankhaft gesund!

  1. Ich habe einen mir sehr lieben Menschen kennengelernt, der der Bruker Kost anhängt. Und empfinde das gleiche, was hier geschrieben steht: Ernährung als Religionsersatz, Isolation. Mahlzeiten müssen geplant werden, Spontanität ist kaum mögich. Als zusätzliche Belastung folgt, dass Toleranz und Teilnahme an Mahlzeiten immer nur einseitig sind. Die festen Ernährungsregeln erlauben es nicht, „unpassende“ Gerichte einzunehmen.

    Es ist wirklich wie Religion: Man unterwirft sich bedingungslos Regeln, die von anderen gemacht wurden, und ist nicht in der Lage, sie zu verletzen.

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  2. Bruker, Kollath, ganz egal: mehr oder weniger das ganze Gründerväter-Personal der Voll-, Vollkorn-, Vollwert- und ähnlicher Kostformen trägt braune Revers. Es ist halt die gleiche Grundhaltung, die sich da ausdrückt.

    Essen war ziemlich einfach, bevor es zur Bekenntnisform wurde – und damit zum gesellschaftlichen Spaltpilz. Wer jemals mit einem Anti-Milch-Fanatiker an einem Tisch saß, weiß, was ich meine. Eine geschlagene Stunde Vortrag überm Frühstückstisch, das braucht niemand zur Semmel.

    Essen mit dem Zweck der Gesunderhaltung ist, geradeheraus gesagt, schädlich. Es gibt nichts, nicht einmal Vollkorn, nicht einmal Vitamine, was schlechthin „gesund“ wäre. Die Jagd nach Regeln, die zur „Gesundheit“ oder zur „Heilung“ (das Unwort unserer Zeit) führen, bewirken nur, dass die somatische Intelligenz, die wir mitbringen, abgewöhnt und durch ausgedachte Verhaltensnormen ersetzt werden. Bestimmt nicht mit einem besseren Ergebnis.

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  3. Das mit den braunen Revers mag sein, ist aber kein Argument gegen diese Ernährungsformen. Allerdings kommt man nach meiner Erfahrung auch mit den richtigen Argumenten nicht weiter (mangelnder Nutzen, nachgewiesene Fehlbehauptungen usw usw.)

    Es hatte mich an diesem Blogartikel schon fasziniert, dass ich das erste mal las, was ich seit geraumer Zeit denke: Diese Ernährungsregeln haben etwas religiöses (Aussagen des Gurus verinnerlichen, Ausblenden von Gegenargumenten, Einhaltung der Regeln unter allen Umständen, Abweichungen sind nicht erlaubt). Bei Bruker kommen dann noch Impfgegenerschaft und Homöopathie dazu. Schwierig, wenn man so etwas im eigenen Umfeld erlebt, da wird man einfach nur noch hilflos zornig auf diesen ganzen irrationalen Sch***ß.

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    • Das mit den braunen Revers kann durchaus gegen diese Ernährungsformen sprechen – wenn es als erkenntnisleitendes Interesse vornedran stand. Und es spricht vieles dafür, dass bei denen nicht eine handfeste Empirie die Grundlage der Erkenntnis war, sondern eine schwiemelige Ideologie, alles andere reimte sich dann schon irgendwie zusammen. Und so langsam dämmert es, was man sich damit einbrockt.

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  4. Nein, da stimme ich nicht zu. Die braune Quelle kann ein Grund dafür sein, mal genauer hinzusehen, aber nicht als Argument genutzt werden.

    Die Ernährungsform selbst muss durch passende Argumente kritisiert werden, nicht durch die Farbe des Revers, der Religionszugehörigkeit usw. usw.

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    • Nachtrag:
      Wenn eine Behauptung zur Ernährung aufgestellt wurde und man als Begründung braunen MIst erkenntlich machen kann, dann genügt natürlich diese Feststellung als Gegenargument.

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