Rezension: „Die Legende von der christlichen Moral“ von Andreas Edmüller


Gastbeitrag von Walter Müller

„Die Legende von der christlichen Moral“ – Warum das Christentum moralisch orientierungslos ist

 

Autor: Dr. Andreas Edmüller
ISBN 978-3-8288-3655-6
250 Seiten
Tectum Verlag Marburg

Unter dem Begriff „christliche Werte“ versteht man im Allgemeinen soziales und ethisches Handeln auf der Basis des Christentums. Dieser Begriff wird insbesondere in der politischen Rhetorik immer mal wieder als Schlagwort gebraucht, wobei zumeist keine tiefergehende theologische Analyse mitgeliefert wird. Auf christliche Werte berufen sich Politiker insbesondere dann, wenn es darum geht, einer politischen Aussage besondere Bedeutung und Glaubwürdigkeit zu verleihen. Dabei wird allerdings nicht ersichtlich, auf welche Werte sich der Politiker bezieht und welcher Art denn diese Werte letztlich sind.

Der Autor, Dr. Andreas Edmüller, trifft in seinem Buch die Feststellung, dass gläubige Christen zu fast jeder moralisch wichtigen Frage so gut wie jede mögliche Antwort vertreten (und immer schon vertreten haben). Diese Beliebigkeit und Orientierungslosigkeit in wichtigen moralischen Fragen legen den Verdacht nahe, dass mit diesen christlichen Werten etwas nicht stimmen kann. Zu den christlichen Werten werden sowohl Pazifismus als auch Kriegsbereitschaft, Sozialismus oder Kapitalismus, Gleichberechtigung der Frau, gleichgeschlechtliche Liebe, homosexuelle Ehe, Empfängnisverhütung, Sterbehilfe und die Todesstrafe gezählt. Dies alles auf der Basis derselben Grundannahmen, z.B. der Bibel oder der Gewissenserforschung.

Andreas Edmüller kommt zu der überraschenden Erkenntnis, dass das Christentum über keinerlei ernstzunehmende Morallehre verfüge. Denn was man angeboten bekommt, sei lediglich ein in sich unstimmiges, unsystematisches Konglomerat von Geboten und Verboten, Gleichnissen, biblischen Legenden und Mythen, antike Präzedenzfälle, Missverständnisse und oft kaum haltbare Auslegungen der angeblich heiligen Schriften. Da aber auch die Werte der Kirchen dem Wertewandel unterliegen, dürfte somit ein allgemein akzeptiertes Verzeichnis christlicher Werte kaum realisierbar sein.

Somit stehen wir – so der Autor – vor der Tatsache, dass moralische Fragen im Christentum nicht vernünftig beantwortet werden können. Das Christentum beansprucht andererseits jedoch absolute Gewissheit für seine moralischen Positionen.

Aber auch der Kampf gegen die säkularen Wissenschaften, eine der ausgeprägtesten Traditionslinien des Christentums, wird im vorliegenden Buch angesprochen. Diese Schlacht tobt derzeit in den USA ja noch immer.

Mit der Forderung sämtliche Konkordatslehrstühle abzuschaffen, bzw. von kirchlicher Mitsprache bei der Besetzung zu befreien, wird der Autor politisch. Das Recht der katholischen Kirche bei der Besetzung der Lehrstühle mitzureden, sei nichts anderes als ein moralisch ausgesprochen fragwürdiges Relikt vergangener Macht, welches unter anderem 1933 Adolf Hitler bestätigt und aufgebaut habe. Dies sei vermutlich aus Dankbarkeit für die handfeste vatikanische Unterstützung des Nationalsozialismus zu dessen Machtergreifung erfolgt, verbunden mit der Hoffnung des Vatikans, den Nationalsozialismus gegen die eigenen Gegner instrumentalisieren zu können.

Die abschließende Wertung des Autors: Der säkulare Rechtsstaat darf sich nicht gegen gläubige Menschen und Religionen richten. Er darf sie aber auch nicht fördern. Glaube und Religion sind Privatsache, kein staatlich zu zensierendes oder zu förderndes Anliegen.

5 Gedanken zu “Rezension: „Die Legende von der christlichen Moral“ von Andreas Edmüller

  1. Die Forderung nach Abschaffung der Konkordatslehrstühle ist längst überfällig. Sie beruht auf einem Abkommen aus der Nazi-Zeit und ist bis heute noch gültig. Dieser zwischen dem Vatikan und dem Hitler-Regime 1933 abgeschlossene Vertrag schreibt die Beziehungen zwischen Staat und Kirche fest. Und so kommt es, dass die Kirchensteuer vom Staat eingezogen, die Gehälter der Bischöfe und Militärseelsorger aber nicht etwa aus Mitteln der Kirchensteuer, sondern aus allgemeinen Steuermitteln mitfinanziert werden müssen.

    Nur einige wenige Steuerzahler wissen, dass die Bundesrepublik Deutschland jedes Jahr Subventionen in Höhe von ca. 17 Milliarden Euro an die Kirchen bezahlt. Somit finanzieren alle Bürger – unabhängig davon ob sie Muslim, Jude, Atheist oder konfessionslos sind – diese Milliardensubventionen mit. Da stellt sich doch die Frage, weshalb bisher keine der etablierten politischen Parteien ein Interesse daran hat, an dieser Situation etwas zu verändern?

    Wollen die etablierten Parteien diese hochbrisante Frage etwa der rechtspopulistischen AfD überlassen? Eine entsprechende Forderung nach Kündigung des Reichskonkordats hat die AfD-Politikern Beatrix von Storch nämlich bereits erhoben.

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  2. Ja, wie steht es denn um die sog. „christliche Leitkultur“? Man muss sich doch die Frage stellen, was damit eigentlich gemeint ist!? Angesichts der geradezu feindseligen Haltung großer Teile der deutschen Bevölkerung gegenüber Flüchtlingen kann ich dahinter rein gar nichts von christlicher Leitkultur erkennen! Schon gar nicht verstehen kann ich die Haltung der polnischen und der ungarischen Regierung in dieser Frage. Immerhin bekennen sich 95 % der Polen zum Katholizismus. In Ungarn bekennen sich 87 % der Bevölkerung zum Christentum, verteilt auf 64 % Katholiken, 23 % Protestanten und ca. 1 % jüdischer Bürger. Diese sog. Christen leben offenbar nach einer Leitkultur, die mit dem Christentum herzlich wenig gemein hat. Die Regierungen dieser Länder sind ein Schandfleck für unser Europa. Die Aufnahmeverweigerung von Flüchtlingen darf für diese Länder nicht ohne Folgen bleiben. Sanktionen in Form von Subventionskürzungen aus dem Euro-Topf, Ausschluss von EU-Gipfeltreffen, verbunden mit einem Stimmrechtsentzug sind nur drei von weiteren möglichen Strafen und Sanktionen.

    Es steht außer Frage, dass die Welt angesichts der Flüchtlingsproblematik sich mit großen Herausforderungen konfrontiert sieht. Da müsste es für Christen aber – ungeachtet aller damit verbundenen Unannehmlichkeiten – eigentlich vordringlichste Pflicht sein, sich dieser Aufgabe ohne Wenn und Aber zu stellen. Dass es aber auch Leute gibt, die sich nicht scheuen, Flüchtlingsunterkünfte in Brand zu setzen oder gar Flüchtlinge tätlich anzugreifen, weist ebenfalls auf ein großes Defizit bei der Frage nach einer christlichen Wertvorstellung hin.

    Es ist höchste Zeit, dass die sog. christlichen Werte endlich auf ihre Substanz hin überprüft und analysiert werden. Wenn Bürger und Politiker sich auf eine christliche Leitkultur berufen, sollen sie gefälligst auch sagen, auf welche konkreten humanistischen und moralischen Werte sie sich beziehen. Alles andere ist nämlich nur leeres, inhaltsloses Leitkultur-Geschwafel.

    Fest steht aber auch, dass alle diejenigen Leute, die sich gegen eine humanistische Handhabung und Lösung des Flüchtlingsproblems stellen, alles mögliche sein können, aber bestimmt keine Christen.

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  3. @Dorette: doch, eben gerade können diese Leute Christen sein – denn das ist ein wesentliches Kennzeichen des Christentums – die völlige Beliebigkeit in ethischen Standpunkten, siehe die Rezension. Und diese völlige Beliebigkeit hat ja erst die so weite Verbreitung des Christentums erst ermöglicht – da kann jeder mitspielen, ob gegen oder für die Todesstrafe, gegen Fremde oder für Fremde – für jeden findet sich die passende Ecke…

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  4. @ Holger

    Wie beliebig es um die christliche Ethik und Moral steht, zeigt ja auch das Verhalten einiger Politiker, wie z.B. die Haltung des CSU-Ministerpräsidenten Horst Seehofer angesichts des Flüchtlingsproblems. Für einen wahren Christen sollte es eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, in Not geratene Kriegsflüchtlinge vorbehaltslos aufzunehmen. Aber wenn schon der Führer einer christlichen Partei den vielfach in die Kritik geratenen Satz der Bundeskanzlerin, „wir schaffen das“, in Frage stellt, dann hat dieser christliche Politiker den Boden der Menschlichkeit verlassen, indem er ein Grundprinzip christlicher Ethik und Moral außer Kraft setzt. Durchaus möglich, dass Seehofer mit seiner Kritik an der Flüchtlingspolitik der Kanzlerin, die zur AfD und zur Pegida abgewanderten Wähler zurück gewinnen will und bereit ist, dafür seine christlichen Werte aufzugeben. Das wiederum wäre der Beweis dafür, dass die oft zitierte Leitkultur in der „christlichen“ Politik offenbar keinen besonders hohen Stellenwert repräsentiert.

    Dieselbe unchristliche, menschenfeindliche Haltung muss man aber auch allen Wählern und Unterstützern der AfD und der Pegida unterstellen, die aus für mich nicht nachvollziehbaren Gründen den Hass gegenüber in Not geratenen Kriegsflüchtlingen schüren. Dies ein weiterer Beweis dafür, dass es um die Ethik und Moral in unserem angeblich von Christen dominierten Land mehr als nur schlecht bestellt ist. Die Legende von der christlichen Moral scheint tatsächlich nur eine Legende zu sein, denn die moralische Orientierungslosigkeit
    in unserem Land ist nicht mehr zu übersehen.

    Offenbar habe einige deutsche Landsleute vergessen, dass viele von ihnen auch mal Kriegsflüchtlinge waren und von der Hilfsbereitschaft anderer Menschen profitiert haben. Diese deutschen Kriegsflüchtlinge aber haben es offenbar versäumt, ihren Kindern von diesen Zeiten zu erzählen.

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  5. Das Buch ist informativ, nüchtern, sachlich und der Autor in seiner Argumentation sehr transparent. Trotzdem ist es unterhaltsam geschrieben. Ich hoffe, dass es viele Menschen erreicht, Gläubige und Atheisten, Christen und Nicht-Christen. Das Buch setzt Maßstäbe bei der gedanklichen Klarheit und daran fehlt es uns in der Debatte um die Rolle der Religion in unserer Gesellschaft.

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