Ein Highlight für alle Homöopathie-Kritiker und Skeptiker, die sich bereits bestens mit der Materie auskennen. Ich bin jedenfalls begeistert.
Der Herausgeber ist kein Geringerer als Norbert Schmacke, Sozialmediziner und Professor des Fachbereichs Human- und Gesundheitswissenschaften an der Uni Bremen. Er hat unter anderem beim AOK-Bundesverband und im Hauptgesundheitsamt Bremen gearbeitet.
Der „Glaube an die Globuli“ ist ein exzellentes Fachbuch mehrerer Autoren, welches alle relevanten Zusammenhänge erläutert, die dazu geführt haben, dass die Akzeptanz der unwissenschaftlichen Homöopathie als Alternative zur Medizin besonders hoffähig wurde.
Den Anfang macht Uwe Heyll, Mediziner und Philosoph. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Lehrbeauftragter am Institut für Geschichte der Medizin der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und seit 1993 Berater der DKV (Deutsche Krankenversicherung).
Heyll liefert eine brillante sozialwissenschaftlich-psychologische Analyse, die verdeutlichen soll, dass es zur Natur des Menschen gehört, sich selbst zu betrügen und leichtgläubig zu sein, wenn bestimmte Rahmenbedingungen erfüllt weden.
Er zieht dazu die Medizingeschichte heran und schildert die für ihn relevanten Mechanismen, die sich hinter der großen Akzeptanz von Alternativheil-Unfug bzw. Mythen verbergen. Man erfährt unter anderem welche wichtige Rolle Rituale und Inszenierungen spielen, die man von allen erfolgreichen Pseudoheilverfahren kennt.
Ganz besonders interessant sind auch seine Erläuterungen zu den Placebo/Nocebo-Effekten, für die er in Anlehnung an Daniel Moerman, einem US-Anthropologen, den Begriff „Bedeutungseffekte“ einführt.
Gemeint ist damit, dass es für den Menschen unausweichlich sei, der Realität, die sich auf jeden gleich auswirkt, einen persönlichen Stempel aufzudrücken. Erst die individuelle Deutung und das Einreihen in einen Kontext, schaffe Sinn und Ordnung und mache Erkenntnisse möglich. Der Stempel, den das Bewusstsein anfertigt, könne einmalig, aber auch von kollektiven, kulturellen, etc. Anschauungen beeinflusst sein.
Die jeweilige Vorstellung, die allem eine eigene Bedeutung verleiht, greife über psycho-physische Mechanismen auf den Körper über und sorge dort für wahrnehmbare Effekte. Diese „Bedeutungseffekte“ gäbe es ständig, sie seien unausweichlich, fänden jedoch meist unbemerkt statt und sie ließen sich von Außen triggern.
Neues würde automatisch in einen Zusammenhang mit bereits vorhandenen Vorstellungen gebracht und dabei spielten auch Assoziationen eine Rolle, die von Symbolen und Zeichen ausgingen. Somit könne man bei jedem über Rituale und beeindruckende Inszenierungen „Bedeutungseffekte“ beeinflussen. Je größer die Überzeugungskraft und je glaubhafter die Erklärungen, desto besser sei die Wirkung. Interessant dabei noch, dass Erklärungen zu Unfug & Mystifax, im Rahmen von Inszenierungen, intensivere Effekte hervorbringen sollen, wenn sie zum Zeitgeist passen.
Der gesamte Aufsatz ist hyperspannend, jedoch schwer zu lesen, weil akademisch und extrem anspruchsvoll. Hier muss man sich aber unbedingt durchbeißen 😉
Schmacke selbst widmet sich im Anschluss in einem längeren Kapitel:
- dem politischen Lobbyismus, der für die Gesetzgebung und die irrsinnige Sonderregelung der „Besonderen Therapierichtungen“ (inklusive Binnenkonsens) verantwortlich ist. Er sieht in der Regelung den größten Fehler im System, den es an erster Stelle zu revidieren gilt.
- den größenwahnsinnigen und gefährlichen Auswüchsen im Homöopathie-Business, wobei es immer mehr darum ginge Krebs und schwerste Krankheiten allein mit Homöopathie heilen zu wollen. Als beste Beispiele nennt er die Clinica St. Croce und den dort praktizierenden Arzt und Homöopathen Jens Wurster, der anscheinend wirklich keine Skrupel zu kennen scheint, wenn es um das Krebsheil-Image der Homöopathie geht und Prof. Dr. Michael Frass, der qualitativ unterirdische Studien zum angeblichen Beleg der spezifischen Wirksamkeit der Homöopathie produziert und somit sogar vom angesehenen Mediziner und Wissenschaftler zum Lakaien und Handlanger der Homöopathie mutierte.
- den Fehlern im Medizinbetrieb, insbesondere der fehlenden Patientenorientierung, die es zu korrigieren gilt.
In einem weiteren Kapitel klären Edzard Ernst und Schmacke über den Irrsinn der Anthroposophischen Medizin auf, die ebenfalls den Sonderstatus der „Besonderen Therapierichtungen“ genießt, wobei gerade deren unwirksame Misteltherapie bei Krebspatienten bedenklich beliebt ist.
Die letzten beiden Kapitel, jeweils von einen Autorenteam verfasst, beschäftigen sich explizit mit der Kritik am eigenen Medizinbetrieb, wobei die Autoren auch Lösungsansätze aufzeigen.
Dabei geht es ganz gezielt um den Umgang mit Patienten und unter anderem um die Forderung, dass der Patient gleichberechtigt in Entscheidungen miteinbezogen werden müsse, die immer individuell zu treffen seien. Desweiteren geht es um die nicht zu unterschätzende Bedeutung der Evidenzbasierten Medizin, aber auch um deren Schwächen und Grenzen und entsprechende Verbesserungsansätze.
Werner Bartens schreibt in der Printausgabe der SZ zum Buch:
Für vernunftbegabte Menschen ist die Homöopathie eigentlich eine intellektuelle Beleidigung. Da werden Kügelchen, Tropfen und Tinkturen verabreicht, in denen kaum Wirksubstanz enthalten ist. Nach diversen Schüttelritualen und Verdünnungsschritten ist irgendwann kein Molekül mehr nachweisbar. Das schadet der Rezeptur aber nicht, im Gegenteil. Erst dadurch gelangt sie zu voller Entfaltung, und das Mittel wird umso potenter.
Nach diesem magischen Muster wird das Volk seit mehr als 200 Jahren zum Narren gehalten […]
Schmacke ist es leid, dass zwischen “Schulmedizin” (ein von Homöopathen 1876 erfundener Kampfbegriff) und “Komplementärmedizin” unterschieden wird. “Es gibt gute und schlechte Medizin, und die sollte nach denselben Kriterien beurteilt werden”, so der Arzt […]
“Zudem darf die Politik nicht weiter an den Selbst- und Fremdtäuschungen der Homöopathie vorbeisehen. Und Medizinfakultäten und Ärztekammern müssen sich fragen, ob sie mit der Integration fragwürdiger Verfahren den Patienten Gutes tun und die kommende Ärztegeneration angemessen auf die Bedürfnisse der Menschen vorbereiten.”
Und weil mir das Buch wirklich am Herzen liegt, möchte ich noch die allzeit geduldige und niemals müde werdende Homöopathie-Aufklärerin und Physikerin Ute Parsch zitieren, die bereits eine sehr ausführliche Rezension bei Amazon hinterlassen hat, die meine Anmerkungen gut ergänzt:
Anders als der Buchtitel es vermuten lässt, geht es in dem vom Bremer Professor für Gesundheitswissenschaften Norbert Schmacke herausgegebenem Buch, keineswegs allein um die Homöopathie allein. Sie nimmt lediglich einen zentralen Punkt ein. Schmacke geht es hier jedoch um weit mehr als Homöopathiekritik …
… Das Buch wendet sich allein vom akademischen Sprachstil aber auch von den Argumenten her an ein Fachpublikum: Ärzte, Apotheker, Dozenten und alle Mitglieder der Entscheidungsgremien bei Kassen und Behörden. Es ist weniger für den privaten Globulifan geschrieben, sein Inhalt wäre für diesen aber sicher ebenfalls lesenswert.
Was mir ganz besonders gefallen hat, ist, dass Schmacke endlich einmal ein Buch vorlegt, das der üblichen Homöopathiediskussion entwachsen ist. In seinem Buch geht es nicht mehr um die Frage, __ob__ denn Globuli Placebos sind. Es geht um die logischen, moralischen und notwendigen Forderungen, die sich aus der Tatsache, dass es sich um Placebos handelt, für die Praxis im Gesundheitswesen ergeben. Hier ist zusammengefasst, was denn eigentlich Politik, Wissenschaft und Ärzte tun müssen, wenn wir die Konsequenz aus unserem bestens gesicherten Wissen ziehen:
Heftige Kritik übt Schmacke an der Politik – nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen europäischen Ländern. Politiker schaffen überall unter dem Einfluss der Hersteller und der Beliebtheit der spirituellen Verfahren beim Wahlvolk gesetzliche Sonderregelungen für die „besonderen Therapierichtungen“. Diese schaffen einen Schutzraum für Globuli & Co, so dass diese in Apotheken stehen und von Kassen bezahlt werden – ohne dass die Mittel je Wirkungsnachweise erbracht haben.
„Die Bevölkerung sollte nur wissen, dass die Privilegierung der besonderen Behandlungsverfahren in krassem Widerspruch zu den Grundsätzen des Sozialgesetzbuches und der klinischen Forschung steht.“ (S 125)
„Für Deutschland liegt der Schlüssel zu einer Aufhebung der 2-Welten-Lehre in der medizinischen Versorgung ausschließlich beim Gesetzgeber. Nur er kann die unsinnige Doktrin von besonderen Therapierichtungen beenden.“ (.S. 138)
Schmacke fordert ebenfalls ein Ende der „Pathologischen Forschung“ zu den genannten Verfahren, die nur dem Zweck dient, der Bevölkerung eine Wissenschaftlichkeit vorzugaukeln, die in Wahrheit nicht vorliegt. Schmacke arbeitet an mehreren ganz und gar nicht harmlosen Beispielen heraus, wie hanebüchen vorgelegte Arbeiten zur Homöopathie eigentlich sind.
Besonders deutliche Kritik übt er hier an Wurster und die Clinica St. Croce, sowie an Frass und seiner Wiener Gruppe, über deren Studie zur Homöopathie bei Krebs er explizit schreibt: „Sprache und Inhalt des genannten Artikels sind aus wissenschaftlicher Sicht indiskutabel, aber bei nicht wissenschaftlichen Lesern wird der Eindruck erweckt, man sei eigentlich nah dran am Beleg, dass Homöopathie Krebs heilen kann. Und genau darin liegt das Ziel solcher Publikationen.“ (S.95)
„Es wird Zeit für die Wissenschaft damit aufzuhören, der Alternativmedizin das Trittbrettfahren zu erlauben. (…) Dass Schwerkranken in Deutschland vorgegaukelt werden darf, man könne Krebs und Schlaganfälle durch homöopathische Präparate heilen, wirft einen tiefen Schatten auf alle begonnenen Bemühungen um eine differenzierte Ermittlung von Nutzen und Schaden in der Medizin.“ (S. 138/139)
Gerade die letzten beiden Kapitel, die ganz unabhängig von den alternativen Verfahren Forderungen an eine moderne Medizin beschreiben, zeigen aber auch, dass sich die Autoren bewusst sind, dass die selbsternannten „Alternativen“ auch deshalb so erfolgreich sind, wie sie Sehnsüchte des Patienten befriedigen, die von der Medizin im Moment nicht ausreichend ernst genommen werden.
„ Gute Medizin muss sich den heute international verwendeten kritischen Bewertungen stellen (…). Dass dazu auch gehört, die Erwartungen und Gefühle von Kranken in Erfahrung zu bringen, sollte längst selbstverständlich sein. Das ist die zentrale Botschaft an die Medizin (…). Dieser Fährte gehört die Zukunft, statt Gedankengebäuden des frühen 19. Jahrhunderts anzuhängen.“ (S. 147)
Ein insgesamt ungemein wichtiges Buch, von dem nur zu hoffen ist, dass es möglichst viele Entscheidungsverantwortliche in Politik und Universitätsverwaltungen auch lesen werden. Unter Laien wird es wegen der akademischen Sprache vermutlich nur zu wenig Anklang finden.
„Wirkung von Globuli nicht bewiesen“ Jens Wurster, die Homöopathie und die unerträgliche Leichtigkeit der Lüge Homöopathie: Krebsbehandlung in Deutschland nur mit Globuli !? Homöo-Akademie Traunstein – der Größenwahn Krebs mit Homöopathie heilen zu können! Vorträge zur Homöopathie täuschen den Verbraucher … Die Sache mit den Studien oder Nachhilfestunde für den DZVhÄ Beweisaufnahme Homöopathie: Prof. Frass Evidenz versus Eminenz "Die Globulisierungsfalle" (ab Min. 16.34)